Die Rubrik Meinung ist ja genau dafür gedacht, subjektive Meinungen zu äußern. Dies erfolgt bewusst in einer eigenen Kategorie, um die geringere Verlässlichkeit gegenüber den anderen Kategorien hervorzuheben, und auch die Unverbindlichkeit des hier Geschriebenen nochmal herauszustellen. Mit meiner Markteinschätzung möchte ich keine Anlageempfehlung geben, sondern beispielhaft veranschaulichen, wie die im Artikel Kurstreiber – Fazit erwähnte Meinungsbildung bezüglich des Finanzmarkts aussehen könnte.

Zunächst ist wichtig zu wissen, dass ich ein fundamental orientierter Anleger bin. Folglich habe ich einen langfristigen Anlagehorizont von mehreren Jahren, was sich auch in meiner Einschätzung des Marktes widerspiegelt. Diese taugt daher auch nicht als Grundlage für kurzfristiges Trading, sondern hat das Ziel, den Zeitpunkt für die grundsätzliche Umschichtung von Barbeständen in die Anlageklasse Wertpapiere zu erkennen. Außerdem habe ich die Aktienkultur in Deutschland im Blick, daher steht in meiner Markteinschätzung auch der deutsche Finanzmarkt im Mittelpunkt.

Wie gesagt ich bin also fundamental orientiert. Das bedeutet, dass für mich die beiden Faktoren Unternehmensgewinne und Zinsniveau von Bedeutung sind.

Unternehmensgewinne oder einfach nur Gewinne

Die Gewinne werden von Erträgen und Aufwendungen beeinflusst. Diese lassen sich sehr fein untergliedern, jedoch reicht mir die Betrachtung leicht beobachtbarer Indikatoren, um die Lage zu beurteilen.

Wirtschaftliche Lage

Da wäre zunächst die allgemeine wirtschaftliche Lage. Für diese bekommt man über die verschiedenen Indikatoren (ifo Geschäftsklima, ZEW Konjunkturerwartungen, Industrieproduktion, etc. – für eine ausführlichere Liste vgl. Artikel Kurstreiber – Fazit) ein ganz gutes Gefühl.

Oberflächlich betrachtet, und das soll hier genügen, zeigen diese im Querschnitt für Deutschland und Europa das Bild einer soliden Wirtschaft. Bei den Amerikanern ist es ähnlich, es gibt weder Grund für überbordende Euphorie noch ist Panik angesagt. Von konjunktureller Seite sind also weiterhin hohe bzw. sogar steigende Erträge möglich, was gut für die Unternehmensgewinne ist.

Ölpreis

Oft wird auch der Ölpreis als Indikator für den Zustand der Weltwirtschaft bezeichnet. Durch die durch den amerikanischen Schieferöl-Boom ausgelöste Ölschwemme hat der Ölpreis allerdings etwas an Einfluss auf die Kurse verloren. Seine Aussagekraft bezüglich des Zustands der Wirtschaft jedoch, ist durch den Preisverfall vielleicht sogar noch gestiegen. Wurden vor gar nicht allzu langer Zeit steigende Ölpreise als Bremsklotz für Wirtschaft und Börsenkurse angesehen, freut man sich heute über steigende Notierungen, da diese gesunde Aktivität der Wirtschaft signalisieren. Sicher ist, dass Rohöl als wichtiger Rohstoff, direkt (Airlines, Chemiekonzerne) oder indirekt (Industrie), großen Einfluss auf die Aufwendungsseite der Gewinngleichung hat.

Mit unter 50 USD/BOE ist der Ölpreis derzeit gering, und somit ebenfalls vorteilhaft für die Unternehmensgewinne.

Inflation

Im Zusammenhang mit den Ölpreisen steht die Inflation, also die allgemeine Teuerungsrate. In einer starken Konjunktur ziehen, durch hohe Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, auf breiter Front die Preise an. Diese Veränderung gegenüber einem Vergleichszeitpunkt wird Inflation genannt. Inflation führt indirekt auch zum Ansteigen der Lohnkosten. Sind die Preise für Rohstoffe und Vorprodukte sowie die Löhne hoch, schlägt sich dies bei den Aufwendungen nieder und drückt die Gewinne.

Derzeit liegt die Inflation in Europa und den USA zwischen 1% und 2%, was als Zielniveau angesehen wird. Noch vor wenigen Monaten grassierte sogar die Angst vor Deflation, also Geldentwertung, die unbedingt vermieden werden soll, um eine Abwärtsspirale in der Wirtschaft zu vermeiden. Für die Unternehmensgewinne ist die Inflationssituation jedenfalls auch positiv.

Zinsniveau (Gewinnwirkung)

Gibt es bei der Inflation Anzeichen oder Befürchtungen von Fehlentwicklungen, also eine zu hohe oder zu geringe Rate, ruft das die Zentralbanken auf den Plan. Diese sind Träger der Geldpolitik und sollen dafür sorgen, dass die Inflation nicht aus dem Ruder läuft. Damit soll eine gesunde, graduelle Entwicklung der Wirtschaft ermöglicht werden. Die Stellschraube der Zentralbanken ist das Zinsniveau, dem aufgrund seiner weitreichenden Wirkung eine besondere Rolle zukommt.

Zunächst wirkt das Zinsniveau natürlich direkt auf die Gewinne, da es bestimmt, wie teuer es ist, sich Geld zu leihen, also wieviel für Zinsen aufgewendet werden muss. Da ist es in Europa gerade ganz einfach, denn der Leitzinssatz beträgt 0%! Es müssen also kaum Zinsen für Kredite bezahlt werden. Man sieht das auch sehr schön in seinem privaten Umfeld, wenn ein Bekannter ein Haus baut oder kauft. Billiger auf der Zinsseite wird es nicht mehr, was entsprechend die Aktivität im Eigenheimsektor, sprich die Immobilienpreise, anziehen lässt. Und genau das ist es auch, was die Zentralbank mit der Festlegung des Zinsniveaus bezweckt. Geldpolitik in der Praxis, sozusagen.

Bleibt festzuhalten, Zinsen historisch niedrig, grundsätzlich gut für Unternehmensgewinne, außer bei Banken, aber das ist ein Spezialthema.

Wechselkurse

Wenn die Zentralbanken an der Zinsschraube drehen, wirkt das jedoch nicht nur auf die Inflation. Sehr viel schneller reagieren die Wechselkurse von Währungen. Warum das so ist, ist ganz einfach erklärt. Wenn die Zinsen in Europa steigen, wollen die Investoren ihr Geld dort auf die Bank legen, also fragen sie Euro (EUR) nach und bieten z. B. US-Dollar (USD) auf dem Devisenmarkt an. Angebot und Nachfrage – der EUR wertet gegenüber dem USD auf, der Kurs USD/EUR, derzeit ca. 1,15 USD/EUR, steigt. Sinken die Zinsen ist es umgekehrt. Ein starker EUR ist für die europäische Wirtschaft eher schlecht, denn er macht europäische Waren für Ausländer teurer.

Kurzes Beispiel dazu: Eine Packung Salami kostet 1 EUR. Bei einem Kurs von 1,09 USD/EUR braucht ein Amerikaner also 1,09 USD um diese Salami kaufen zu können. Wertet der EUR gegenüber dem USD auf 1,15 USD/EUR auf, braucht der Amerikaner jetzt 1,15 USD, um genau die gleiche Salami zu kaufen. Vielleicht kauft der Amerikaner die Salami jetzt lieber in einem anderen Land, wo sie ihn nur 1,09 USD kostet. Je stärker also der EUR, umso schlechter für die europäische Wirtschaft.

Der erwähnte Wechselkurs von 1,15 USD/EUR ist als vorteilhaft für Europa anzusehen. Mitte 2009 lag er beispielsweise schon mal bei etwa 1,50 USD/EUR. Man könnte jetzt auch argumentieren, dass eine starke Währung ja aus einem anderen Währungsraum bezogene Vorprodukte billiger macht, und daher auch gut sein kann. Das stimmt zwar, wenn die fertigen Produkte dann relativ gesehen jedoch teurer sind, wird die Nachfrage nach diesen wiederum sinken. Das wirkt dann auch auf den Wechselkurs (er fällt), hilft aber den Unternehmen mit sinkendem Absatz und fertigen Erzeugnissen im Lager nicht.
Ein schwacher EUR ist also gut für den Absatz und somit die Gewinne.

Insgesamt betrachtet, sehe ich vonseiten der wirtschaftlichen Lage, des Ölpreises, der Inflation, des Zinsniveaus und des Wechselkurses das Umfeld für die Unternehmensgewinne in Deutschland als extrem positiv an. Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass diese Gewinne auf Rekordniveau sind (vgl. tradingeconomics.com, unter der Grafik bitte einmal auf MAX klicken).

Von dieser Seite sind die Aktienkurse also sehr gut unterstützt, die hohen Notierungen gerechtfertigt.

Das Zinsniveau

Bleibt einen genaueren Blick auf das Zinsniveau zu werfen, dem wie erwähnt, eine besondere Rolle zukommt. Neben seiner Wirkung auf die Unternehmensgewinne wirkt der Zins nämlich auch noch direkt auf die Bewertung von Unternehmen und somit die Aktienkurse. Bei der Diskontierung von zukünftigen Zahlungen (Gewinnen) werden diese auf den gegenwärtigen Zeitpunkt umgerechnet. Wie im Artikel Kurstreiber – Fundamentalanalyse (1/3) beschrieben, werden sie dafür, vereinfacht ausgedrückt, durch den Zinssatz geteilt. Ist dieser hoch, ist das Ergebnis kleiner, als wenn dieser niedrig ist (so wie es jetzt gerade der Fall ist). Kurzum, die Investition von Kapital in riskante Vermögenswerte wird gegenüber der Möglichkeit Geld zu einem risikolosen Zinssatz bei der Bank anzulegen, attraktiver.

Das bedeutet, dass auch von der Zinsseite aus hohe Aktienkurse gerechtfertigt sind.

So weit, so gut. Insgesamt passt das Umfeld, die Aktienkurse sind hoch.

Bewertungsniveau

Wie hoch die Aktienkurse sind, kann man messen, indem man sie ins Verhältnis zu den Unternehmensgewinnen setzt. Ich mache das, indem ich den Jahresschlusskurs (für 2017 den vom 18.07.) des DAX-Kursindex durch die Dividendensumme des DAX (mit 10 multipliziert) des jeweiligen Jahres teile (für 2017 die Dividendensumme von 2016). Heraus kommt eine Kennzahl, mit der man das Niveau des Index zu verschiedenen Zeitpunkten vergleichen kann. Diese zeigt, dass der DAX sich mit 18,6 x derzeit auf einem Niveau knapp unter dem Durchschnitt von 19,4 x befindet.

Fragen, die man sich stellen sollte

Damit die Betrachtung dieser ganzen Indikatoren einen Sinn bekommt, muss man sich fragen, wohin diese sich (langfristig) entwickeln. Und wenn man darüber nachdenkt, muss man genauer fragen, und zwar, wohin können diese sich entwickeln? Das ist die Prognose. Ist man sich über diese im Klaren, was heißt das dann für die Aktienkurse, wenn diese Prognose eintritt?

Krisenwährung Gold

Hat man diese Fragen beantwortet und sich eine Meinung gebildet, kann man diese festigen, indem man sie überprüft. Dafür sehr gut geeignet ist der Goldpreis, in seiner Funktion als Stimmungsindikator für das Finanzmarktumfeld. Gold gilt als Krisenwährung, da davon ausgegangen wird, dass im Falle eines Zusammenbruchs des Finanzsystems physisches Gold weiterhin als Geld genutzt werden kann¹. Im Normalfall gilt, ist die Finanzwelt entspannt, sind die Aktienkurse hoch und der Goldpreis ist niedrig. Droht eine Krise, Krieg oder abstürzende Aktienmärkte, steigt der Goldpreis für gewöhnlich.

Derzeit liegt der Goldpreis bei etwa 1.235 USD/Feinunze. Das ist als neutral zu sehen. Rekordstand war etwa 2011 1.880 USD/Feinunze.

Zusammenfassung

Die aktuellen Rekordstände der Börsenkurse sind vor dem Hintergrund der betrachteten Indikatoren gerechtfertigt, am Vergleichsmaßstab gemessen ist gegenüber früheren Bewertungsniveaus keine Übertreibung zu erkennen.

Wohin sich die Indikatoren entwickeln ist Aufgabe jedes einzelnen Marktteilnehmers, darüber möchte ich hier nicht spekulieren.

Außerdem ist Vorstehendes nur als Beispiel gedacht, wie man sich eine Meinung über die Lage an den Finanzmärkten bilden könnte. Es zeigt auch, wie komplex die Zusammenhänge am Finanzmarkt sind. Da auch Profis, die sich den ganzen Tag mit Informationen dieser Art beschäftigen, für nichts garantieren, ist es verständlich, wenn man keine Lust hat sich damit zu beschäftigen. Eine gute Möglichkeit, wie man von den Chancen die der Finanzmarkt bietet, trotzdem profitieren kann, ist, einen ETF-Sparplan auf einen breit gestreuten Index anzulegen. Unter Schnellstart steht, wie das geht.

An der Börse kann es auch trotz sorgfältiger, nachvollziehbarer Überlegungen, anders kommen, als diese folgern lassen. Die Zukunft kennt keiner, eine Meinung begründet lediglich eine Erwartung, das muss einem immer bewusst sein.

¹Früher galt der Goldstandard, d. h., dass Währungen quasi in Gold umgetauscht werden konnten, also jedes Land entsprechende Goldvorräte benötigte (ein guter Film in dem das eine Rolle spielt ist Stirb Langsam 3 ;-). Der Goldstandard gilt seit Anfang der 1970er Jahre nicht mehr, dennoch spielt Gold im Währungsbereich noch eine wichtige Rolle.